Der Stellenabbau
in der
Produktion,
euphemistisch
auch
„Produktion 4.0"
genannt

Der Stellenabbau in der Produktion hat bereits vor 8 Jahren begonnen und erregt die Gemüter aktuell dennoch mehr denn je. Sehr gut konnte man dies auf der teams-Veranstaltung „BRnachgefragt: Umbau gemeinsam gestalten“ vom 18.01.2023 sehen.
Während die führenden Kräfte des Stellenabbaus die erste halbe Stunde ein strahlendes Bild voller Sonnenschein und Zuversicht zeichneten, wurde dieses in der darauffolgenden Diskussion ohne Ausnahme von allen sich zu Wort meldenden KollegInnen zerstört, ähnlich wie bei Banskys Schredderaktion bei Sotheby`s, als sich das „Mädchen mit dem Luftballon“ plötzlich in lauter kleine Papierstreifen auflöste. Mit dem kleinen Unterschied, dass dies vom Urheber selbst inszeniert war.
Aber warum sind die ProduktionskollegInnen so aufgebracht? Sind sie nur deshalb so vehement gegen diesen euphemistisch als Produktion 4.0 umdeklarierten Stellenabbau, weil sie überwiegend schon viel zu lange beim BR arbeiten, es sich in ihren Nischen bequem eingerichtet haben, ihrem wohlverdienten Ruhestand entgegensehnen und nun Angst bekommen, dass sie etwas Neues anfangen müssen, wozu sie vielleicht gar nicht mehr in der Lage sind? Wollen sie wie ihre Direktorin lediglich ihre alten Privilegien verteidigen, die längst aus der Zeit gefallen sind und schleunigst abgebaut werden müssten, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht noch weiter ins Abseits gerät und zumindest eine geringe Überlebenschance hat?
Oder gibt es handfeste Gründe, die zwingend erfordern, den Stellenabbau noch einmal von Grund auf zu überdenken und ihn da, wo er jetzt bereits zu weit gegangen ist, wieder zurückzunehmen und den tatsächlichen Erfordernissen der Redaktionen anzupassen?
Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, ein wenig in die BR-Vergangenheit zurückzugehen.
Wir schreiben das Jahr 2007, der damalige Intendant Thomas Gruber beauftragte die Unternehmensberatung McKinsey, die Fernsehproduktion unter die Lupe zu nehmen. Da McKinsey nicht gerade als arbeitnehmerfreundlich bekannt ist, gab es durchaus Befürchtungen, dass dies der Beginn eines großen Stellenabbaus sein könnte.
Insofern überraschte das Untersuchungsergebnis sehr positiv: McKinsey fand heraus, dass die KollegInnen der Fernsehproduktion wirtschaftlicher arbeiten, wenn sie höherwertiger eingesetzt werden. Im Klartext: In der reinen Aktualität ist es für den BR günstiger, freie Kamerateams zu disponieren, während hochwertige Dokumentationen und Reportagen oder gar Spielfilme wie z.B. der Tatort am günstigsten mit eigenen BR-Mitarbeitern produziert werden können.
Diese Erkenntnis gilt bis heute und leuchtet ein. Ein guter Spielfilmkameramann kostet auf dem freien Markt nun mal sehr viel mehr als ein aktueller Kameramann. Der BR-eigene Kameramann verdient dagegen immer das Gleiche, egal, ob er nun für BR24 oder einen Spielfilm disponiert wird.
Diese McKinsey-Untersuchung wurde übrigens bis zum jetzigen Tag noch nicht einmal BR-intern veröffentlicht und liegt sozusagen im „Giftschrank“.
Das Ergebnis ist nur deshalb bekannt geworden, weil nach McKinsey BR-intern darüber diskutiert wurde.
Kurze Zeit später rief der damalige Produktionschef Michael Hagemeyer eine Initiative ins Leben, um mit Hilfe zahlreicher ProduktionskollegInnen ein tragfähiges Zukunftskonzept für die BR-eigene Fernsehproduktion zu entwickeln.
Als Herr Hagemeyer im Beisein zahlreicher an diesem Prozess beteiligten KollegInnen dem damaligen Produktionsdirektor Herbert Tillmann die Ergebnisse vorstellen wollte, kam es zum offenen Eklat. Herr Tillmann, zunächst noch bestens gelaunt, erkannte wohl bereits nach wenigen Minuten, dass diese Ergebnisse eine neue Ära hätten einläuten können. Er verließ wütend die Sitzung und rief noch im Hinausgehen, Herr Hagemeyer habe sich am kommenden Tag bei ihm zu melden. Dies war nicht nur das Ende eines sehr konstruktiven, zukunftsorientierten Plans für die BR-eigene Produktion, es war auch das Ende Herrn Hagemeyers als Produktionschef. 2011 lief sein Vertrag aus, er wurde durch Wolfgang Haas ersetzt.
Was war geschehen? Um das Jahr 2007/2008 herum wurde wohl „ganz oben“ beschlossen, das genaue Gegenteil dessen umzusetzen, was McKinsey eigentlich als betriebswirtschaftlich sinnvoll für den BR festgestellt hatte.
Dazu kam der Spitze des Hauses jedoch der ehrgeizige Plan des damaligen Produktionschefs Hagemeyer in die Quere, weshalb dieser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Ende seines 5-jährigen Vertrags „kaltgestellt“ wurde.
2011 übernahm Ulrich Wilhelm die Intendanz und begann konsequent mit den Vorbereitungen zur Umsetzung der Verkleinerung der BR-Produktion. Hierfür holte er 2012 Frau Spanner-Ulmer mit ins Boot, die zwar einen Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft in Chemnitz innehatte, für die die Medienwelt jedoch nach eigener Aussage ein neues Terrain war.
2015 wurde das Konzept Produktion 4.0 mit dem zentralen Punkt einer Reduzierung zunächst der Fernsehproduktion um beinahe die Hälfte von Herrn Frenzel und Frau Spanner-Ulmer vorgestellt.
Ein Jahr später holte Herr Wilhelm Reinhard Scolik, der davor beim österreichischen Fernsehen, zuletzt als Leiter der strategischen Programmplanung und Administration sowie ORF-Koordinator für 3sat und Arte, beschäftigt war, als neuen Fernsehdirektor. Er ging sofort tatkräftig an die Arbeit, die lukrativen Großprojekte nach draußen zu geben.
Herr Wilhelm heiratete 2014 eine Tochter des Produzenten und Rechtehändlers Jan Mojto. Ab Ende 2015 wurde sie, gemeinsam mit ihrer Schwester, über zwei Zwischengesellschaften Mehrheitseignerin bei Beta, was Herr Wilhelm jedoch dem BR laut Spiegel vom 26.01.2018 nicht angezeigt haben soll.
Ulrich Wilhelm schied im Januar 2021 aus dem BR aus und sorgte entgegen aller Gepflogenheiten noch kurz vor seinem Ausscheiden dafür, dass Herrn Scoliks Vertrag um 5 weitere Jahre verlängert wurde, kurz bevor die neue Intendantin eine eventuell andere Weichenstellung hätte vornehmen können. Da Frau Wildermuth mit Herrn Scolik nicht zusammenarbeiten wollte, wurde dessen Vertrag bereits zum Ende 2021 aufgelöst. Über die Auflösungsmodalitäten wurde zwar Stillschweigen vereinbart, der BR dürfte aber wohl bis zu 700 000 Euro dafür bezahlt haben, dass Herr Wilhelm seiner Nachfolgerin eine für diese nicht akzeptable Personalie verlängerte. Herr Scolik soll übrigens bereits bei seinem Ausscheiden aus dem ORF über eine „Handshake“-Regelung (diese Art des Vertrages ist mir in meiner über 15-jährigen Personalratstätigkeit noch nie untergekommen) rund eine Million Euro erhalten haben, wie „Der Standard“ am 1.September.22 schreibt.
Seit 01.02.2021 ist nun Frau Wildermuth an der Spitze des BR, der Stellenabbau jedoch geht weiter wie bisher.
Zwar gibt Wolfang Haas, stellvertretender Produktions-und Technikdirektor, mittlerweile seit eineinhalb Jahren offen zu, dass der freie Markt immer teurer wird und bestimmte Leistungen gar nicht mehr eingekauft werden können. Als Grund dafür wurden zunächst Großproduktionen für Netflix und Co genannt. Sicherlich dürften die freien Produktionsfirmen aber auch schnell bemerkt haben, dass der BR bereits so viele Produktionsstellen abgebaut hat, dass er vieles gar nicht mehr mit seinen eigenen MitarbeiterInnen realisieren kann und somit immer mehr auf den freien Markt angewiesen ist, der die Preise dementsprechend nach oben schrauben konnte.
Als Ziele des Stellenabbaus wurde bisher vom BR immer genannt, flexibler werden zu wollen und Kosten zu sparen.
Aktuell zeigt sich aber immer deutlicher, dass beides nicht erreicht werden kann, ganz im Gegenteil.
Bereits vor über einem Jahr verkündete Frau Wildermuth, allen KollegInnen der Produktion jederzeit unbezahlten Urlaub zu gewähren, was davor undenkbar war. Sie verkaufte diese Maßnahme als „Geschenk“ an ambitionierte BR-KollegInnen, um ihre Fachkompetenzen auch weiterhin einbringen zu können, was ihnen beim BR selbst ja kaum mehr möglich war
In Wirklichkeit versuchte der BR aber mit dieser verzweifelten Maßnahme, den gescheiterten Stellenabbau „zu retten“. Vor einem Jahr begannen Produktionsfirmen, bei BR-KollegInnen anzufragen, ob man denn jemanden wisse, der sich bereit erklären könnte, sich für eine externe BR-Produktion unbezahlten Urlaub zu nehmen.
Mit anderen Worten: Produktionsfirmen fanden keine geeigneten Fachkräfte mehr, um BR-Aufträge zu übernehmen.
Der BR hat diese zwar bis zum heutigen Tag noch immer, setzt sie aber kaum bis gar nicht mehr in hochwertigen Produktionen ein und baut seine Produktion weiterhin ab - auf dass er zukünftig noch abhängiger wird vom Freien Markt...