Persönliche Anmerkungen zur Banner-Aktion vom 27.03.2024
von Ralf Eger
Zuallererst möchte ich unterstreichen, dass die Banner-Aktion vom 27.03.24 nichts mit der Personalrats-Liste Die NEUEN zu tun hat.
Dass ein Foto dieser Aktion nun auf dem ersten Plakat der NEUEN zu sehen ist, hat damit zu tun, dass Die NEUEN eine BR-interne Diskussion starten wollen, inwieweit der BR seinem Programmauftrag nachkommt.
Es gäbe unzählige Beispiele, an denen man diese Frage diskutieren könnte. Einen x-beliebigen Beitrag hervorzuheben, würde jedoch das Ziel verfehlen, da die MacherInnen dieses Beitrags und die dazugehörige Redaktion zurecht fragen würden, weshalb gerade ihr Beitrag "an den Pranger gestellt" wird.
Ganz anders verhält es sich mit der Aktion vom 27.03.24.
Die Entscheidung, diese Aktion sowohl BR-intern als auch in der Berichterstattung zu ignorieren, kann keiner einzelnen Redaktion zugeordnet werden.
Ich gehe davon aus, dass es sich hierbei um eine Entscheidung der Führung des Hauses handelte. Sollte dies nicht zutreffen, bitte ich um eine dementsprechende Information, um sie diesem Text beifügen zu können.
Seit über einem Monat findet man auf YouTube unter "Funkhaus München" ein einminütige Video, bei dem sich viele gefragt haben dürften, ob es echt sein kann. Da selbst der BR über diese Aktion nicht berichtete, obwohl ein Banner über 8 Stockwerke zu sehen ist, gehen viele, die dieses Video zufällig entdeckten, wohl eher davon aus, dass es sich um ein Fake-Video handelt.
Wer beim BR-Zuschauerservice nachfragt, erhält jedoch folgende Antwort:
Liebe/r …..
tatsächlich hat die Banner-Aktion stattgefunden. Das Video ist also echt.
Es handelt sich offenbar um die persönliche Aktion einer oder mehrerer Personen, die im BR tätig sind. Der BR klärt derzeit den Vorgang - auch im Gespräch mit den beteiligten Personen...
Da ich diese Aktion durchführte und auch gegenüber dem BR nicht verheimlichte, kann ich diese ebenfalls bestätigen.
Ich entschloss mich zu diesem Schritt, nachdem ich beinahe ein halbes Jahr versucht hatte, das Thema der fehlenden Neutralität in der BR-Berichterstattung auf BR-internen Veranstaltungen anzusprechen, mich an das Intranet, meine Redaktionsleiterin, den Chefredakteur und schließlich an die Intendantin wandte, jedoch ohne den geringsten Erfolg.
Nachdem ich alle hausinternen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, sah ich mich gezwungen, etwas zu tun, das man vielleicht als „zivilen Ungehorsam“ gegenüber dem Arbeitgeber bezeichnen kann.
Um meine Beweggründe zu erklären, schickte ich den Funkhaus-KollegInnen eine Stunde nach der Banner-Aktion folgende Mail:
Wie lange noch sind wir still?
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten am 7.10.23 begann die israelische Armee einen Krieg in Gaza, der seit fast einem halben Jahr tobt. Die anhaltenden Kriegsverbrechen an palästinensischen Zivilisten sind nicht zu übersehen.
Liebe Kolleg:innen,
die meisten von Euch werden auch Kinder haben, manche Enkelkinder. Ich bin sehr glücklich über meine beiden bereits erwachsenen Kinder und hoffe, wie wohl alle Eltern auf dieser Welt, dass sie niemals einen Krieg miterleben oder gar an einem Krieg teilnehmen müssen. Was für die eigenen Kindern gilt, sollte weltweit für alle Kinder gelten.
Die Wirklichkeit sieht leider anders aus:
13 000 palästinensische Kinder wurden innerhalb nicht einmal 6 Monaten getötet. Die Zerstörung Gazas dürfte die Geburtsstunde der nächsten perspektivlosen und damit gewaltbereiten Generation sein.
Auch in der Ukraine ist kein Ende in Sicht. Die Doktrin, gewinnen zu müssen, egal, wie viele Opfer dieser sinnlose, da nicht zu gewinnende Krieg noch fordert, wird weiterhin aufrechterhalten.
Wer es wagt, in dieser Situation deeskalieren zu wollen, wird medial an den Pranger gestellt. Selbst der Papst „durfte“ das vor kurzem erleben, als er das christliche Glaubensbekenntnis ernst nahm und darauf hinwies, dass Friedensverhandlungen wichtiger sind als Siegesfantasien.
Was ist los mit unserer Gesellschaft?
Haben wir Willy Brandt vergessen, der bereits vor 41 Jahren sagte:
‚Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“
Die deutsche Regierung schickt Waffen in Milliardenhöhe in die Ukraine. Die freien und unabhängigen deutschen Medien stellen hierzu keine kritischen Fragen, der Kanzler wird eher bedrängt, schneller weiter reichende Waffen zu liefern.
Auch Israel wird mit Waffen und Munition beliefert, im letzten Jahr stiegen diese Waffenlieferungen um das Zehnfache. Die israelischen Kriegsverbrechen werden damit auch mit deutschen Waffen verübt.
Wie denkst Du darüber? Quälen Dich Fragen wie:
Will ich, dass meine Kinder einen Krieg erleben oder gar in den Krieg ziehen? Würde ich selbst zur Waffe greifen?
Möchte ich schweigend zusehen, bis es zu einer Katastrophe kommt und europäische Städte in Schutt und Asche begraben werden?
Findest Du die Vorstellung auch unerträglich, unsere Kinder könnten uns in 10 Jahren fragen, warum wir nichts getan haben, als die Anzeichen nicht mehr zu übersehen waren, dass wir uns von einer friedliebenden hin zu einer „kriegstüchtigen“, immer intoleranter werdenden Gesellschaft entwickeln?
Dann lass uns im BR darüber reden - jetzt sofort, dieses Thema ist zu dringend, als dass es vertagt werden könnte!
Nur wenn möglichst viele Kolleg:innen offen ihr Unbehagen darüber zum Ausdruck bringen, dass in unserer Berichterstattung bestimmte Themen ausgeblendet, andere einseitig oder verzerrt dargestellt werden und wir damit unseren Auftrag nur noch teilweise erfüllen, kann sich etwas ändern.
Lass uns laut und deutlich aussprechen, dass wir keine kriegstüchtige, sondern eine tolerante, friedensfähige Gesellschaft wollen.
Lasst uns versuchen, dies mit unseren Programmangeboten bestmöglich zu unterstützen und den Krieg klar als das bezeichnen, was er ist:
„Krieg ist nicht die Ultima ratio, sondern die Ultima irratio“ - Willy Brandt
Mit kollegialen Grüßen, Ralf Eger
Soweit meine Mail vom 27.03.24. Einen Tag später erfuhr ich, dass eine Online-Petition zur Erneuerung des ÖRR freigeschaltet worden war.
Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nichts davon und war sehr erfreut darüber, dass sich in der großen ARD-Familie sehr viel mehr KollegInnen mit ähnlichen Gedanken beschäftigen.
Mittlerweile sind 7 Wochen vergangen.
Die BR-Aussage, der BR kläre derzeit den Vorgang- auch im Gespräch mit den beteiligten Personen, kann ich nicht bestätigen.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurde mit mir über den Inhalt des Banners und des dazugehörenden Briefs nicht gesprochen.
Würde man von einem Medienunternehmen bei einem derartigen Vorfall nicht eigentlich erwarten, dass dieser hinterfragt wird?
Ich bedauere sehr, dass wir als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen die aktuell wohl brennendsten Themen sowohl intern als auch in der Berichterstattung weitgehend ausklammern und lieber in Kauf nehmen. den Kritikern des ÖRR Argumente zu liefern, wie wichtig „alternative Medien“ sind, um die „blinden Flecken“ innerhalb unserer Berichterstattung erhellt zu bekommen.
Durch eine einseitige oder ungenügende eigene Berichterstattung gerade in Hinblick auf Themen wie die Aufarbeitung der Corona-Zeit, dem Ukraine- und Gazakrieg, die viele Menschen tief bewegen, werden wir mit verantwortlich dafür, dass auch sehr krude Informationen in Ermangelung seriöser eigener Angebote große Verbreitung finden - mit weitreichenden Auswirkungen auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Ich hoffe sehr, dass sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus ihrem Elfenbeinturm wagen und endlich eine offene Diskussion der eigenen Stärken und Schwächen zulassen.
Die aktuell laufende Petition zur Erneuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks würde hierfür eine gute Gelegenheit bieten.
Schließlich unterstreichen die Initiatoren die Wichtigkeit des ÖRR und fordern, dass dieser seinem Programmauftrag wieder umfassend gerecht wird.
Wir haben das Privileg, in einem Medienunternehmen zu arbeiten, das keinen Gewinn erarbeiten muss, sondern von der gesamten Gesellschaft finanziert wird. Damit stehen wir aber auch in der Pflicht, dieser gegenüber jederzeit offen für Kritik zu sein.